Prolog

»June, Eddy, kommt ihr, bitte?«, rief Mom uns zu sich nach unten.
»Auf die Plätze, fertig, los!«, schrie Eddy, mein Bruder, wie aus dem Nichts und rannte die Stufen nach unten.
»Das ist gemein. Auf das Wettrennen war ich nicht vorbreitet.« Eddy war schneller als ich. 
Mom, die am Treppenende mit einem großen Mann, den ich noch nie gesehen hatte, stand, ermahnte uns: »Langsam, Kinder, langsam.« 
Der Mann hatte dunkles Haar und wirkte alt. Aber Erwachsene sind ja für uns Kids immer alt.
»Meine Lieben, das ist Jim Bowden«, stellte sie uns den Herren vor, als wir bei ihr angekommen waren.
Neugierig schaute ich den Fremden, der einen dunklen Anzug trug, an. Wer war er? 
»Mr. Bowden, das sind Eddy und June«, stellte sie uns vor, höflich reichten wir ihm die Hände.
»Hallo, Kids«, begrüßte er uns mit dunkler Stimme und lächelte. Mir war er sympathisch. Eddy aber blickte ihn skeptisch an.
»Wieder ein neuer Personenschutz?«, fragte mein Bruder genervt.
»Eddy!«, ermahnte Mom ihn und schüttelte den Kopf. »Aber du hast recht, Mr. Bowden wird ab sofort euer Bodyguard sein.«
Wieder ein neuer Bodyguard, der auf uns aufpassen musste, sobald wir einen Schritt vor die Tür setzten. Er würde uns zur Schule bringen, von dort abholen, mit uns auf den Spielplatz gehen und ins Kino. Uns überall dorthin begleiten, was in der Öffentlichkeit stattfand, so wie seine drei Vorgänger. Eddy und ich hatten Personenschutz, seit wir denken konnten. Nur vergraulten wir die anderen, indem wir ihnen Streiche spielten. Mr. Bowden sah nicht so aus, als ob er leicht reinzulegen wäre. Er wirkte freundlich, aber streng.
»Eddy ist elf Jahre und June acht«, sagte sie zu Mr. Bowden. »Die beiden sind eigentlich wohl erzogen, aber die letzten Bodyguards haben sie in den Wahnsinn getrieben.« Sie seufzte.
»Ach, ich denke, wir drei werden schnell Freunde werden, oder Kumpel?«, meinte er zu Eddy und hob seine Hand zu einem High Five. Mein Bruder begann zu grinsen und schlug ein. »Und wir werden auch tolle Freunde, oder Curly June?« Er wuschelte mir durch meine wilden Locken.
Ich lächelte ihn an. »Curly June, das gefällt mir.«
Wir brauchten jemanden, der uns schützte, denn unsere Eltern hatten Angst, dass wir entführt werden könnten. Wir waren wohlhabend. Meinem Dad gehörte eine der größten Softwarefirmen der USA. Die Levitt Inc. Uns Kids fehlte es an nichts. Wir wuchsen in einer riesigen Villa in den Hollywood Hills auf, die einen eigenen Pool hatte, in dem wir gerne plantschten. Unsere Nachbarn waren namhafte Schauspieler und Regisseure. Mit unseren Freunden, die wie wir auf eine Privatschule gingen, unternahmen wir viel. Aber nie ohne Bodyguard.
»Magst du Football?«, wollte Eddy von ihm wissen.
»Klar, wer mag das nicht?«
»Welche ist deine Lieblingsmannschaft?«, fuhr er seine Fragerei weiter.
»Die L.A.-Rams«, gab Mr. Bowden als Antwort, woraufhin Eddy breit zu grinsen begann. 
»Sehr gut. Wir werden bestimmt gute Freunde«, meinte mein Bruder. Mr. Bowden hatte bei Eddy ein Stein im Brett, denn er mochte dieselbe Footballmannschaft.
»Darf ich dich Jim nennen?«, wollte ich wissen, denn eigentlich nannten wir unsere Bodyguards nie beim Vornamen.
»Natürlich, Curly June.«
Meine Mom schaute erleichtert aus, eine Vorstellung mit einem neuen Leibwächter hatte bisher nie super geklappt. Dem letzten Bodyguard hatten wir beim Kennenlernen einen Streich gespielt. Eddy stellte sich ohnmächtig und ich schrie wie am Spieß »Er ist tot.«
Der arme Mann war überfordert mit uns, dass er nach drei Wochen das Handtuch geworfen hatte.
»Gut, dann würde ich vorschlagen, dass ich Ihnen ihre Wohnung zeige«, erwähnte Mom.
»Gerne«, entgegnete Jim.
»June, Eddy ihr könnt weiterspielen, während ich Mr. Bowden rumführe.«
Wir nickten und liefen nach oben in unser Spielzimmer. Mr. Bowden würde im hinteren Bereich der Villa seine eigene Wohnung bekommen, sodass er jederzeit bei uns sein konnte.
»Wie findest du den Neuen?«, fragte Eddy und legte seinen Arm um mich.
»Nett. Du?«
»Er mag die Rams. Ist doch klar, dass ich ihn mag.«
Alle anderen Bodyguards hatten eine Abneigung gegen Football und Eddy nie Kumpel oder mich Curly June genannt. Wir konnten keine Beziehung zu ihnen aufbauen und fanden sie doof. Aber Jim war anders, das hatte ich sofort bemerkt.
»Ob er mit mir mal zu einem Spiel geht?«
»Bestimmt.«
»Haben die anderen nie gemacht und Dad ist so beschäftigt, dass er keine Zeit hat.«
»Jim ist anders. Der begleitet dich gewiss. Mich muss er ja zum Reiten begleiten«, meinte ich frech.
»Du mit deinem doofen Hobby.«
“Ist es nicht.«
»Doch, Pferde sind doof«, flachste Eddy.
»Nein, sind sie nicht.«
»Doch.«
»Nein.«
Ich hasste es, wenn er das sagte und mich ärgerte. Pferde fand ich toll und mein Pony Phoenix war mir das Liebste auf Erden.
»Football ist doof«, konterte ich und verschränkte beleidigt die Arme.
»Nee, das ist voll cool.«
Ich streckte ihm die Zunge raus, drehte mich um und verließ unser Spielzimmer, um mich in meinem Zimmer einzusperren.
Eddy hatte überhaupt keine Ahnung, was Pferde und Ponys anging. Er mochte nur Football.
Von meinem Fenster aus konnte ich auf unseren Pool sehen, hinter dem sich die angrenzende Wohnung von Jim befand. Mom und er kamen aus der Tür. Damit ich hören konnte, was sie sagten, öffnete ich das Fenster.
»Ich hoffe, dass Sie länger bleiben und sich nicht von den beiden ins Boxhorn jagen lassen.« Sie seufzte. »Ohne Bodyguard möchte ich meine Kinder nicht vor die Tür lassen. Es gibt böse Menschen. Rob ist viel in der Firma und ich muss mich um meine Foundation kümmern.«
Wie lange Mom die Levitt Foundation hatte, wusste ich nicht, aber sie organisierte viele Charity Events, sammelte Geld, womit die Stiftung Familien in Not finanziell unterstützte. Ihr lag das am Herzen.
»Seien Sie unbesorgt, Mrs. Levitt. Ich kann gut mit Kindern umgehen und ich bin mir sicher, dass die zwei mich nicht so leicht ärgern können.«
Das hörte sich so an, als könnte er unser Endgegner werden, was Streiche betraf. Auch wenn ich ihn nett und sympathisch fand, den einen oder anderen Streich würde ich ihm spielen.

June

Siebzehn Jahre später

»Ach Jim, ich werde dich vermissen«, sagte ich traurig, wischte mir die Tränen von den Wangen und setzte mich auf eine der Liegen am Pool. Es war herrliches Wetter, die Sonne schien und es hatte jetzt am Vormittag an die dreißig Grad.
»Curly June, wir werden in Kontakt bleiben, aber ein alter Herr wie ich muss aufhören, wenn es am schönsten ist«, gab er lachend von sich.
Jim Bowden nannte mich immer bei meinem, von ihm verliehenen Spitznamen. Er hatte es länger mit uns ausgehalten als seine Vorgänger. Jim ließ sich von Eddy und mir nicht ärgern. Streiche spielen fand er lustig und rächte sich immer wieder bei uns, bis wir aufgaben. Doch jetzt war es an der Zeit, Abschied zu nehmen. Nach siebzehn Jahren ging Jim, der Mitte sechzig war, in Pension.
»Du hast dir den Ruhestand mehr als verdient, Kumpel«, erwähnte Eddy und klopfte Jim auf die Schulter. »Allerdings weiß ich nicht, wer mich künftig zu den Spielen der Rams begleitet, wenn du ein Jahr auf Weltreise bist.«
»Du hast so viele Freunde und Geschäftspartner, die lecken sich doch die Finger, meinen Platz einnehmen zu dürfen.«
Eddy war mittlerweile der CEO von Levitt Inc., er hatte die Firma vor drei Jahren übernommen, als unser Dad zum Governor of California gewählt wurde. Er und Mom lebten seitdem in Sacramento, wo sich das Büro dieses Amtes befand. Ich wohnte in unserer Villa in den Hollywood Hills, aber demnächst alleine, da Jim auf Weltreise ging. Eddy hatte sich ein Penthouse in Los Angeles gekauft, in dem er seit zwei Jahren lebte.
»Wird bestimmt langweilig, wenn ich ganz alleine in der riesen Villa wohne«, schnaubte ich.
»Dir wird nie im Leben langweilig«, meinte Eddy und schaute mich frech an. »Bei über fünf Millionen Followern hast du mit deinem Account genug zu tun, und falls dir das doch endlich mal zu doof wird, steht dir jederzeit die Tür zu Levitt Inc. offen.«
Fünf Millionen Follower. Damit hatte ich einiges zu tun, denn als Influencerin für Beauty und Mode hatte ich mir etwas aufgebaut. Bei Levitt Inc. einzusteigen traute ich mir nicht zu, außerdem lag mir die IT-Branche überhaupt nicht. Eddy war, seit er Teenager war, immer in der Firma dabei, hatte Management und Betriebswirtschaft studiert und war bei Dad eingestiegen.
Für mich hatten Beauty und Mode mehr Bedeutung als irgendeine Software zu entwickeln. Eigentlich wollte ich nach meinem Studium als Modedesignerin durchstarten, aber dann explodierte mein Instagram-Account. Durch Kooperationen mit Model- und Beautylabels konnte ich mir einen Namen machen und lebte sehr gut von diesem Einkommen. 
Wer denkt: Ach, das bisschen Instagram macht man doch mit links, der täuscht sich. Täglich musste ich Beiträge und Storys für die Produkte machen, für die ich eine Vereinbarung unterschrieben hatte.
»Wir werden Sie auch vermissen, Mr. Bowden«, meinte Dad, der gemeinsam mit Mom nach Los Angeles gekommen war, um Jim zu verabschieden. 
»Es war mir eine Ehre, so lange für sie tätig gewesen zu sein.« Er reichte meinem Dad die Hand, doch dieser zog ihn in eine freundschaftliche Umarmung. »Hören Sie doch auf, so förmlich zu sein, nach dieser langen Zeit.«
»Sie möchten wirklich nicht unseren Jet für den Flug nach Hawaii nehmen?«, fragte Mom und drückte Jim ebenfalls.
»Es ist wirklich sehr nett, dass Sie mir das anbieten, aber ich habe alle Flüge gebucht und möchte reisen wie ein Normalo«, meinte er lachend.
»Ein Normalo geht aber nicht auf Weltreise«, erwähnte ich und lachte.
Am späten Abend würde er nach Hawaii aufbrechen, wo seine Weltreise startete, danach ging es nach Neuseeland und Australien. Ich kannte seine Route, denn ich hatte sie mir notiert, sodass ich jederzeit wusste, wo mein guter Freund Jim war.
»Genug getrauert, jetzt stoßen wir an und dann …«, Dad blickte zu mir »… wird June jemanden kennenlernen.«
Verwirrt blickte ich meinen Dad an. »Wen soll ich kennenlernen?«
Mom presste ihre Lippen aufeinander und wandte sich von mir. Was bitte hatten die beiden geplant?
»Sag ich dir gleich.« Er hob sein Glas und wir taten es ihm gleich.
»Auf Jim, dass er eine schöne Reise hat und wieder gesund zurückkommt«, meinte Eddy.
Die Gläser klirrten. Der Champagner befeuchtete meine trockene Kehle. 
»Jetzt sag, Dad. Wen lerne ich kennen?« Er stellte sein Glas ab, hob den Finger und in diesem Moment klingelte es an der Tür. »Das war nicht geplant, aber kam passend.«
»Soll ich nachsehen?«, fragte Jim, woraufhin mein Dad den Kopf schüttelte. »Nein, Sie sind außer Dienst. Ich hole unseren Neuen ab.«
»Unseren Neuen?«, fragte ich perplex. 
Nach wenigen Momenten betrat Dad gemeinsam mit einem jungen, großen dunkelhaarigen Mann die Terrasse.
»June, das ist Donavan Wallace, dein neuer Bodyguard.« Mir klappte die Kinnlade hinab. Nicht nur, weil der Kerl sexy as hell war, sondern weil ich nicht wusste, dass ich einen Neuen bekommen würde. »Mein Personenschutz?«
»Ja, er wurde uns von Jim empfohlen.«
»Du hast gewusst, dass ich einen neuen Bodyguard bekomme?«
Jim schaute mich verlegen an. »Ja. Don ist der Beste, den ich kenne und wird mich würdig ersetzen.«
In den letzten Jahren war Jim nur mein Bodyguard, denn Eddy hatte mit Sam seinen eigenen Personenschutz. Eigentlich dachte ich, der würde nun auch für meine Sicherheit zuständig sein. Mir passte es nicht in den Kram, dass mich dieser Kerl, der vielleicht vier Jahre älter als ich war, schützen sollte. 
Ich ging auf Donavan zu. »Mh. Nett, dass du da bist, aber ich brauche kein Kindermädchen.« Mit diesem Satz ließ ich ihn stehen und ging in die Villa.